Work Life Balance?
Der Entschleunigungsapostel Hartmut Rosa bedauert öffentlich, dass das Konzept unserer gegenwärtigen Wirt- und Gesellschaft nur funktioniert, wenn alles wächst, beschleunigt und sich konkurriert.
Im Körper sterben Zellen ab und neue Wachsen nach. Wunden verheilen. Zerfall ist, wenn das Absterben das Nachwachsen überholt. Wir wachsen gegen den Zerfall und werden immer langsamer dabei. Dagegen gibt es erprobte Strategien, z.B. Jugendlichkeit mit Eleganz wettmachen. Nicht jeden Quatsch wieder durchleben zu müssen, weil aus den Misserfolgen gelernt zu haben. Übersicht haben. Mündiger werden. Sich neue Themen erschliessen; Diese Strategien sind auch eine Form von Wachstum über unseren Körper hinaus, die helfen, Ähnliches in weniger Schritten zu vollziehen, zu beschleunigen. Im Umkehrschluss ist Entschleunigung deshalb wider die Natur. Lernen, Strategien entwickeln, in Konkurrenz sein: das ist für uns natürlich, wir brauchen uns nicht dagegen zu stemmen, es geschicht von selbst. Aber wir können uns vom kollektiven Klagen über Beschleunigung emanzipieren, in dem wir uns davon abwenden.
Wurde man früher aus emotionaler Überwältigung ohnmächtig oder hysterisch, hat man heute salonfähige Burnouts. Burnouts werden erst wahr, weil viele klagen, indem sie Sinnlosigkeit, fehlende Resonanz mit Lethargie als Folge, gemeinsam feststellen.
Zweihundert Jahre früher war der Alltag zu oft existenzbedrohend. Es gab Missernten, Kindersterblichkeit, geringe Überlebenschancen bei heute banalen Krankheiten, Knechtschaft, Willkür, Rechtsunsicherheit, fehlende Hygiene etc.. Würden wir tauschen wollen mit der alten Welt, wenn wir sie als Ganzes annehmen müssten und nicht nur die Idylle unverbauter Landschaft?
Fast täglich fällt aus der Zeitung eine eingeklemmte Beilage von Digitec, Interdiscount, Mediamarkt. Die Huxleyschen Spielzeuge als Früchte unserer Ernte sind riesige, unglaublich günstige Flachbildschirme aus China, Mode hergestellt in Bangladesh und das Leasen von zu riesigen Autos. Wenn das nicht mehr passt, setzen wir Zeichen mit Fair Trade von Max Havelaar und machen Yoga, lernern atmen oder schweigen, oder wir wurden kürzlich aus energetischen Gründen Vegetarier. Es ist halt schwierig, wenn man Beschleunigung kritisiert ohne seinen Konsum auf seinen Bedarf (nicht Bedürfnisse) zu beschränken.
Also gibt es Seminare, an denen ein Guru rät: „be incentive!“, ideal für eine zahlkräftige Kundschaft, die fast vollumfänglich und umstandshalber mit der proaktiven präventiven Verhinderung von Burnouts beschäftigt ist (sprich mit der eigenen Befindlichkeit). Solche Seminare werden von Grosskonzernen kompensatorisch und vielleicht auch um die Mitarbeiter ein wenig kontrollieren und vor sich selbst bewahren zu können, bestellt.
Die Mitarbeiter sollen aber sich nicht unbedingt selbst finden müssen, sie sollen Ihre Arbeit möglichst gut machen und aus den Erfolgen darin Resonanz haben, Lust daran bekommen, gerne Arbeiten. Das können sie aber aus meiner Sicht nur, wenn sie wieder ein klein wenig belastbarer werden, ein klein wenig von ihrem Befindlichkeitstrip runterkommen. Der Grosskonzern soll in seinem System (=Arbeit) Resonanz schaffen können. Alles Andere ist unglaubwürdig.
Wenn die Umwelt nicht erträglich scheint, soll man nicht versuchen, Sinn NICHT zu sehen, sondern seine Belastbarkeit pflegen. Humor dient zum Beispiel der Schaffung von Belastbarkeit. Das fehlt mir bei Hartmut Rosa. Humor als Konzept. Humor ist wichtig um Prioritäten setzen zu können. Wenn man sich von seiner Befindlichkeit beherrschen lässt, hat man bereits verloren, man hat seinem Wachstum entsagt. Aber da kann man ja auch wieder rauskommen, z.B. durch Humor.
Gehen wir also Yoga machen, nicht um der Entschleunigung willen, sondern um der Sache willen. Ordnen wir unser Handeln nicht Befindlichkeits-Zielen (Entschleunigung! Erleuchtung!) unter, die kommen von selbst in Form von Resonanz. Und dann kommt's gut, ich gehe jetzt nämlich kochen.